Für die einen ist es eine verzichtbare Veranstaltung, bei der überhebliche Literaturkritiker auf Kosten mutiger Nachwuchsschriftsteller ihr Bedürfnis nach Selbstdarstellung befriedigen; die anderen nehmen Urlaub, um nicht eine einzige Silbe zu verpassen: Zum 49. Mal finden im österreichischen Klagenfurt die Tage der deutschsprachigen Literatur statt. 14 Autorinnen und Autoren aus Deutschland, Österreich und der Schweiz präsentieren ab dem 26. Juni unveröffentlichte Prosatexte, die anschließend von einer siebenköpfigen Jury entweder zerpflückt oder mit Lob überschüttet werden – live zu verfolgen via Fernsehen, Radio und Internet. Dem Sieger winkt der renommierte Ingeborg-Bachmann-Preis, dotiert mit 25.000 Euro. Er wird seit 1977 verliehen. Zu den bekanntesten Preisträgern gehören Ulrich Plenzdorf, Lutz Seiler und Katja Petrowskaja.
Teilnahmebedingungen und Ablauf
Wer am Wettlesen teilnehmen möchte, bewirbt sich direkt bei den Jurymitgliedern. Diese nominieren je zwei Autorinnen bzw. Autoren, die von den Veranstaltern nach Klagenfurt eingeladen werden. Eine Altersgrenze gibt es nicht; die Teilnehmer benötigen allerdings ein Empfehlungsschreiben eines Verlags oder einer Literaturzeitschrift. Zugelassen sind nur original deutschsprachige, unveröffentlichte Texte. Die Vortragsdauer darf 25 Minuten nicht überschreiten.
In welcher Reihenfolge die Autoren antreten, bestimmt das Los. Die jeweiligen Texte werden dem Publikum kurz vor Beginn der Veranstaltung als Download zur Verfügung gestellt. Nach jedem Vortrag erfolgt eine Diskussionsrunde – der Höhepunkt jeder Lesung. Die Autoren dürfen laut Statuten eingreifen, zum Beispiel, um sich zu verteidigen. In der Regel nehmen sie das Urteil aber schweigend entgegen.
Am letzten Tag vergeben die Jurymitglieder ihre Punkte (5, 4, 3, 2 und 1), wobei sie nicht für ihre eigenen Kandidaten stimmen dürfen. Bei einem Gleichstand kommt es zur Stichwahl. Wer die meisten Punkte erhält, gewinnt den Ingeborg-Bachmann-Preis.
Lehrreich oder entmutigend?
Der Wettbewerb kann Autoren, Lektoren und Kritiker schnell an der eigenen Berufswahl zweifeln lassen. Tröstlich ist nur, dass selbst die Jury uneins ist, wenn es darum geht, was einen ‚guten‘ Text ausmacht: Sollte er ein aktuelles Thema aufgreifen? Gibt es überhaupt noch Stoffe, die nicht auserzählt sind? Weckt ein selbstbezogener Ich-Erzähler wirklich Interesse? Sollte Literatur beschreiben, wie etwas wahrgenommen wird, statt Realitäten darzustellen? Wie viele Adjektive und Fremdwörter verträgt eine Geschichte? Warum gelten lustige Texte oft als unseriös? Und welche Qualität hat ein Text, wenn er eine Performance braucht, um wirken zu können?
Eine Fortsetzung finden die Diskussionen jährlich in den Social-Media-Kanälen, wo nicht nur die Texte und die Vorlesenden bewertet werden, sondern vor allem die Leistung der Jurymitglieder und der Stellenwert des Bachmannpreises auf den Prüfstand kommen. Die Tage der deutschsprachigen Literatur bieten also in vielerlei Hinsicht einen aufschlussreichen Einblick in den Literaturbetrieb.
Weitere Informationen:
Jurymitglieder:
Klaus Kastberger
Mara Delius
Laura de Weck
Mithu Sanyal
Brigitte Schwens-Harrant
Thomas Strässle
Philipp Tingler
Wettbewerbsteilnehmer:
Thomas Bissinger
Natascha Gangl
Max Höfler
Nefeli Kavouras
Fatima Khan
Laura Laabs
Kay Matter
Tara Meister
Nora Osagiobare
Josefine Rieks
Almut Tina Schmidt
Boris Schumatsky
Verena Stauffer
Sophie Sumburane
Übertragung auf 3sat:
Donnerstag, 26. Juni, 10 bis 15.30 Uhr
Freitag, 27. Juni, 10 bis 15.30 Uhr
Sonnabend, 28. Juni, 10 bis 14.35 Uhr
Sonntag, 29. Juni, 11 bis 12.15 Uhr