Über den Umgang mit schlechten Büchern
Kann man „die Fäuste“ ballen, wenn man nur noch einen Arm hat? Ist es nachvollziehbar oder etwa sympathisch, wenn die Hauptfigur wollüstig über ihren Schwarm herfällt, obwohl sie zehn Minuten zuvor miterleben musste, wie ein Familienmitglied ermordet wurde? Gibt es nicht ausdrucksstärkere Inquit-Formeln als „sagte sie“ und „sagte er“? Nein, dieses Buch gehört nicht in die Muss-ich-unbedingt-behalten-Kategorie. Dabei war alles so vielversprechend: spektakuläres Cover, ein marmorierter Buchschnitt, der den Puls jedes BookTokers beschleunigt, ein verheißungsvoller Klappentext. Und nun? Wohin mit schlechten Büchern?
Ab in die Tonne?
Nüchtern betrachtet sind Printmedien Papierwaren. Und die gehören – so man sie denn loswerden will – in die Papiertonne. Laut Umweltbundesamt zählen Bücher zum Altpapier, solange sie nicht mit ‚papierfremden‘ Schutzumschlägen oder Einbänden ausgestattet sind.[1] Besagtes Taschenbuch würde also eine Reise mit dem Kommunalen Wirtschaftsunternehmen Entsorgung (KWU) antreten, zu Faserbrei verarbeitet werden und im Idealfall ein neues Leben als Bestseller beginnen.
Allerdings werden in Deutschland nur rund 20 Prozent der Bücher aus Recyclingpapier hergestellt.[2] Kann ich als Büchernarr hinnehmen, dass ein Roman als Toilettenpapier endet? Immerhin steckt in jedem Buch die monate-, wenn nicht jahrelange Arbeit vieler Menschen – auch wenn das Ergebnis bisweilen zu wünschen übrig lässt.
Da war doch was …
Schriften zu vernichten, weil sie missfallen, weckt ohnehin unangenehme Assoziationen. Ob mittelalterliche Inquisition, Nationalsozialismus oder aktuelle Einzelaktionen – Bücher aus dem Verkehr zu ziehen, bedeutet nicht nur Zensur, sondern Ächtung von Autorinnen und Autoren.[3] Da möchte man sich ungern einreihen.
Nun hatte ich zwar nicht vor, eine medienwirksame Verbrennung zu inszenieren. Zumal es sich im vorliegenden Fall nicht um politisch oder religiös brisante Thesen handelt, deren Verbreitung es zu verhindern gilt. Aber mein Motiv wäre, ehrlich gesagt, schon pädagogischer Natur. Sollte Literatur nicht auch zur Bildung beitragen, vor allem, wenn sie sich an Heranwachsende richtet?
Eine Frage des Geschmacks
Seit sich die Kinder- und Jugendliteratur im 18. Jahrhundert zu einem eigenständigen Zweig des literarischen Marktes entwickelte, wird darüber diskutiert, welche Funktion sie zu erfüllen habe und wie sie sprachlich und inhaltlich zu gestalten sei. Dabei sind Qualitätsbeurteilungen durch ‚Gatekeeper‘ wie Verlagsmitarbeiter, Eltern, Lehrkräfte und Bibliothekspersonal nicht nur höchst subjektiv. Was als ‚gut‘ befunden wird, unterliegt immer auch dem Zeitgeist, wobei der „Grat zwischen Ideal und Ideologisierung“[4] sehr schmal ist.
Vielleicht sollte man der jungen Leserschaft einfach mehr zutrauen. Schließlich tragen auch schlechte Bücher zur Geschmacksbildung bei. Als Negativbeispiel, sozusagen. Hand aufs Herz: Die wenigsten von uns dürften in der Vergangenheit ausschließlich preiswürdige Texte konsumiert haben …
Lösungen für Nachsichtige
Die eine mag die Nase rümpfen, der andere fühlt sich gut unterhalten. Wie heißt es doch: Allen Menschen recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann. Wer damit klarkommt, dass ein Roman zweifelhaften Niveaus neue Leser findet, hat folgende Möglichkeiten:
1. Verkaufen
Zugegeben: Aus Schund Schotter zu machen, ist ziemlich unanständig. Aber manch einem helfen finanzielle Trostpflaster über geistige Enttäuschung hinweg. Das große Geschäft ist allerdings nicht zu erwarten. Wer nicht bei Wind und Wetter auf dem Flohmarkt ausharren will, findet im Internet einige Plattformen, die Bücher aufkaufen. Momox, Rebuy, Bookbot und Co. übernehmen sogar das Porto (immerhin kassiert die Deutsche Post mittlerweile 2,55 € für Büchersendungen, die bis zu 1.000 g wiegen und maximal 35,3 × 25 × 5 cm groß sind)[5]. Trotzdem liegen die Einnahmen bei erfolgreichem Verkauf oft nur im Centbereich. Zu bedenken ist außerdem Folgendes: Re-Commerce-Unternehmen verlangen in der Regel, dass ein Benutzerkonto angelegt werden muss, sie erheben Bearbeitungsgebühren und geben zum Teil einen Mindestankaufswert vor. Besteht – wie in meinem Fall – keine Nachfrage, werden Ankäufe auch abgelehnt.[6]
2. Verstecken
Emma Watson sorgte damit für einiges Aufsehen: 2016 versteckte sie in Londoner U-Bahnstationen mehrere Bücher und rief via Instagram dazu auf, danach zu suchen und sie zu lesen.[7] Mit der Aktion unterstützte die einstige Hermine-Granger-Darstellerin das Projekt Books On The Underground, das Leute zum Lesen animieren wollte und 2017 in der Organisation The Book Fairies aufging.[8]
Die Idee, Lesestoff an öffentlichen Orten zu hinterlegen und so eine Art Weltbibliothek zu schaffen, stammt ursprünglich aus den USA. 2001 gründete Ron Hornbaker mit einigen Mitstreitern BookCrossing und machte die kostenlose Weitergabe von Büchern zu einem Abenteuer: Bevor ein Buch auf die Reise gehen kann, wird ihm eine Identifikationsnummer zugewiesen, die ausgedruckt und ins Buch geklebt werden muss. Alle registrierten Bücher, die ‚freigelassen‘ oder ‚gefangen‘ wurden, lassen sich über eine Datenbank verfolgen.[9] Da Geber und Finder auf der BookCrossing-Website auch Tipps und Bewertungen hinterlassen können, hat sich die Bewegung mittlerweile zu einem internationalen Leseklub entwickelt.
3. Verschenken
Was mich von Emma Watson unterscheidet, ist – abgesehen vom Kontostand –, dass ich kein Buch empfehlen, sondern es loswerden möchte. Daher kommt auch das Weiterschenken an lesewütige Familienmitglieder oder Freunde nicht infrage. Wer will schon einen schlechten Eindruck hinterlassen? Um gar nicht erst mit peinlicher Literatur in Verbindung gebracht zu werden, bleibt nur noch eine anonyme Abgabe.
Natürlich könnte man den Fehlkauf einfach im Zug oder auf einer Parkbank liegen lassen. Streng genommen handelt es sich dabei aber um illegale Müllentsorgung. Vor allem am Straßenrand abgestellte Bücherkisten können hohe Bußgelder zur Folge haben.[10] Am besten aufgehoben sind aussortierte Bücher deshalb an offiziellen Aufbewahrungsorten – Boxen, Häuschen, ehemaligen Telefonzellen oder Wohnwagen, die zu Bücherschränken umfunktioniert wurden. Die ersten öffentlichen Bücherregale stellte das Künstlerduo Clegg & Guttmann in den 1990er-Jahren in Darmstadt und Hannover auf.[11] Inzwischen sind in Deutschland 3.664 Bücherschränke erfasst, 115 davon stehen in Brandenburg.[12]
Auch Stadtbibliotheken und gemeinnützige Einrichtungen wie die Tafel, das Deutsche Rote Kreuz (DRK) oder Die Arche nehmen bisweilen gut erhaltene Sachspenden entgegen. Statt ungeliebte Bücher spontan dort abzuladen, ist es jedoch ratsam, vor Ort nachzufragen.
Jede Meinung zählt
Mutigen Optimisten sei abschließend die Option einer sachlichen Rückmeldung nahegelegt. Es soll ja Vertreter der schreibenden Zunft geben, die mit Kritik umgehen können … Sie wird zwar keine Begeisterungsstürme hervorrufen, aber vielleicht führt der ein oder andere Hinweis dazu, dass das nächste Werk im heimischen Regal bleiben darf.
Quellen:
[1] Vgl. Bundesumweltamt: Recyclingpapier ist gut für die Umwelt. 27.02.2024, online unter: https://www.umweltbundesamt.de/umwelttipps-fuer-den-alltag/haushalt-wohnen/papier-recyclingpapier#undefined (Stand: 07.02.2025).
[2] Vgl. Schmitt, Heidi: Was ist nachhaltiger – E-Books oder Bücher aus Papier? 06.11.2023, online unter: https://www.recyclist-magazin.de/post/was-ist-nachhaltiger-e-book-oder-buecher (Stand: 07.02.2025).
[3] Vgl. Wissenschaftliche Dienste des Bundestages | WD 1 – 106/07: Bücherverbrennungen seit der Frühen Neuzeit. 21.06.2007, online unter: https://www.bundestag.de/resource/blob/414316/cffc968c4a74d3af1d60cc36de88a7ad/wd-1-106-07-pdf-data.pdf (Stand: 10.02.2025).
[4] Zöhrer, Marlene: Du wirst, was du liest? Juli 2019, online unter: https://www.goethe.de/ins/ar/de/kul/mag/21621080.html (Stand: 25.02.2025).
[5] Vgl. Deutsche Post: Warensendung. 2025, online unter: https://shop.deutschepost.de/warensendung (Stand: 26.02.2025).
[6] Vgl. Momox: Fragen und Antworten. 2025, online unter: https://www.momox.de/fragen-und-antworten/; Rebuy: So einfach verkauft man. 2025, online unter: https://www.rebuy.de/verkaufen/so-einfach-verkauft-man?section=faq; Bookbot: Gib deinen Büchern ein zweites Leben. 2025, online unter: https://bookbot.de/wie-bucher-verkaufen#features (Stand: 04.03.2025).
[7] Vgl. Watson, Emma: Instagram-Post vom 01.11.2016, online unter: https://www.instagram.com/p/BMSFySJlhWW/?utm_source=ig_embed (Stand: 14.03.2025).
[8] Vgl. Books On The Underground: Quite Simply: We Love Books. 2025, online unter: https://booksontheunderground.co.uk/about-us/ (Stand: 24.03.2025).
[9] Vgl. BookCrossing: Geh auf die Jagd. 2025, online unter: https://www.bookcrossing.com/hunt?viewall=true&viewall=false (Stand: 24.03.2025).
[10] Vgl. Buchholz, Jennifer: Geschenk oder Müll? Wann ein Bußgeld für eine „Zu verschenken“-Kiste droht. 28.12.2024, online unter: https://www.t-online.de/heim-garten/haushaltstipps/id_92369660/bussgeld-durch-zu-verschenken-darf-man-sachen-vor-die-tuer-stellen-.html (Stand: 24.03.2025).
[11] Vgl. Dichevska, Tsvetomira: Öffentlicher Bücherschrank – so funktioniert er. 20.07.2020, online unter: https://praxistipps.focus.de/oeffentlicher-buecherschrank-so-funktioniert-er_122917 (Stand: 25.03.2025).
[12] Vgl. Wikipedia: Liste öffentlicher Bücherschränke in Deutschland. 23.03.2025, online unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_%C3%B6ffentlicher_B%C3%BCcherschr%C3%A4nke_in_Deutschland (Stand: 24.03.2025).